Fachkongress Industrie 4.0

Standards sind entscheidend, damit Industrie 4.0 funktioniert

Breiter Konsens beim 2. Fachkongress Industrie 4.0 – Future Standards Now! am 14. März 2018

"Damit Industrie 4.0 überhaupt funktioniert, ist die Normung entscheidend." Mit diesen Worten eröffnete Dipl.-Ing. Roland Sommer, Geschäftsführer der Plattform Industrie 4.0 Österreich, den 2. Fachkongress Industrie 4.0. - Future Standards Now! Gemeinsam mit Austrian-Standards-Direktorin DDr. Elisabeth Stampfl-Blaha begrüßte er etwa 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Austrian Standards Meeting Center zu Vorträgen und Diskussionsrunden im Zeichen von Industrie 4.0.

Auf dem Programm: Geschäftsmodelle, Digitalisierungs-Strategien und Lösungen zur Steigerung der Produktivität durch vernetzte und kommunizierende Komponenten und Maschinen. Um Industrie 4.0 zum Durchbruch zu verhelfen, brauche es mehr denn je branchenübergreifende und grenzüberschreitende Lösungen, erklärte Stampfl-Blaha. Denn mit zunehmender Digitalisierung nehme auch die Komplexität zu. Die große Bedeutung der Digitalisierung zeige auch das aktuelle Regierungsprogramm, in dem der Begriff gezählte 89 Mal vorkomme, so Sommer, und leitete damit zum ersten Redner über.

 

Digitalisierungsstrategie: Chancen im Fokus

In Vertretung von Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, stellte Sektionschef Dr. Matthias Tschirf die Digitalisierungsstrategie der österreichischen Bundesregierung vor. Der Networked Readiness Index des Weltwirtschaftsforums reiht Österreich beim Thema Konnektivität auf Platz 10 von 139 Volkswirtschaften. Das sei grundsätzlich positiv, so Tschirf, in manchen Bereichen gäbe es aber Aufholbedarf. Dabei sei es am wichtigsten, auf die sich bietenden Chancen zu fokussieren. Konkret plane die Bundesregierung die Stärkung der zentralen Plattform oesterreich.gv.at, als neue mobile Verwaltungs-App, die Nutzung und Bündelung bestehender Datenregister und eine Bildungsoffensive für Senioren und Jugendliche, so der Spitzenbeamte.

 

EVVA: Erfolgreiche disruptive Produktdigitalisierung

Dipl.-Ing. Michael Kiel, zuständig für Operations & Qualitymanagement beim Schließsystemhersteller EVVA, machte deutlich, wie ein klares Bekenntnis zu einer expliziten Digitalisierungsstrategie den Unternehmenserfolg beflügeln kann. Mit dem AirKey 2.2 habe EVVA erfolgreich eine disruptive Produktdigitalisierung vollzogen. Der vormals mechanische Schlüssel wurde in ein Service transformiert, das erweiterte Funktionen wie temporäre Zutrittsrechte bietet und sich mittels Smartphone bedienen lässt. Die Digitalisierung erstreckt sich beim weltweit tätigen Familienunternehmen aus Österreich auch auf die Produktionsprozesse. Dabei sei es wichtig, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Information und Überzeugung bei der Entwicklung mitzunehmen, so Kiel.

 

Dreieck der digitalen Transformation in Deutschland

Yves Leboucher, M.A. vom Standardization Council Industrie 4.0 (SCI4.0) stellte die Aktivitäten zur digitalen Transformation in Deutschland vor. Die Plattform und Standardization Council Industrie 4.0 bilden gemeinsam mit dem Labs Network ein Dreieck der digitalen Transformation. Das Standardization Council ist eine gemeinsame Initiative von bitkom, ZVEI, VDMA, DKE, DIN sowie Plattform Industrie 4.0 und will Standards der digitalen Produktion initiieren und die Anforderungen zwischen Industrie und Standardisierung koordinieren, national wie international. Dazu bildet eine Normungsroadmap den festgestellten Bedarf ab und ermöglicht Empfehlungen zur Umsetzung, ein Netzwerk von Testlaboren überprüft die definierten Modellanwendungen auf Praxistauglichkeit.

 

Interaktive Karte mit Use Cases

Dr. Karl Grün von Austrian Standards und Dipl.-Ing. Richard Valenta vom Österreichischen Verband für Elektrotechnik (OVE) präsentierten den Status Quo in Österreich. Grün verwies auf den bereits vor eineinhalb Jahren veröffentlichten Industrie-4.0-Normungskompass und erläuterte aktuell entwickelte Anwendungsbeispiele wie die selbstfahrende Reinigungsmaschine. Das zugrunde liegende Geschäftsmodell habe nicht den Absatz von Maschinen im Fokus, sondern den Verkauf gereinigter Laufmeter. Dahinter stünden zahlreiche Standards, die helfen, das Geschäftsmodell auf eine solide Basis zu stellen, so Grün. Ziel sei es, derartige Anwendungsbeispiele samt der zugrunde liegenden Standards in einer interaktiven Karte zugänglich zu machen.

 

Normungskomitee für Smart Manufacturing in Gründung

Valenta betonte, dass Smart Manufacturing - so der internationale Begriff für Industrie 4.0 - für viele Regierungen große Priorität besitze, wie zahlreiche nationale Forschungs- und Entwicklungsprogramme zeigten. Diesbezügliche Standardisierungsbestrebungen nehmen zu, ein eigenes Normungskomitee zum Thema sei bereits im Entstehen. Die Arbeitsgruppe ISO/IEC JWG 21 entwickle dazu bereits Referenzmodelle. Verantwortlich dafür sei nicht zuletzt auch das Schadprogramm Stuxnet, so Valenta. Die softwaregesteuerte Störung der Leittechnik einer Urananreicherungsanlage habe klar gemacht, dass Produktionsprozesse besser geschützt werden müssten.

 

Industrie 4.0 in der Schweiz

In der Schweiz thematisiert man Industrie 4.0 unter dem Titel Industrie 2025Markus Weber stellte die Initiative vor und kündigte an, dass auf der Digital Factory, der internationalen Leitmesse für integrierte Prozesse und IT-Lösungen im April 2018 eine Kooperation der Industrie 4.0-Plattformen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichnet werde.

 

Lösung für Book on Demand

Roland Henn vom Schweizer Unternehmen Müller Martini, einem global tätigen Hersteller von Maschinen für die Druckweiterverarbeitung, zeigte unternehmenseigene industrielle Lösungen für die wirtschaftliche Produktion individualisierter und variabler Printprodukte in Kleinstauflagen. Beim Geschäftsmodell Book on Demand gehe es darum, täglich etwa 10 000 Aufträge abzuarbeiten und das 365 Tage im Jahr. Wesentliche Herausforderungen bei der Realisierung der Finishing 4.0 genannten Lösung waren die Etablierung von Standards, das Entwickeln von Tools, um klar strukturierte Daten zu erzeugen, die rasche und günstige Überprüfung der Durchführbarkeit sowie der Praxistransfer zwischen mathematischen Analyse-Tools und Maschinenbau, so Henn.

 

Montage der Zukunft

DI (FH) Dr.techn. Roman Franz Froschauer vom Campus Wels der FH Oberösterreich präsentierte zwei konkrete Ansätze zur Optimierung von Montagearbeitsplätzen. Das Center for Smart Manufacturing ist eine reale Modellfabrik, in der rasch und günstig Simulationen durchgeführt werden können. Sie existiert natürlich auch als digitales Abbild. Das Projekt Human Center Workplace 4 Industry dient dazu, kontext-spezifische Assistenzsysteme für Montagearbeitsplätze besser konfigurierbar zu machen und wird ab Herbst 2018 bei zwei Partnern in der Praxis eingesetzt.

 

Bessere Performance dank Daten

Siegfried Klug demonstrierte dem Publikum schließlich das vernetzte Unternehmen. Sein Arbeitgeber Rockwell Automation ist auf Automatisierungslösungen spezialisiert und hat Industrie 4.0 bereits in den eigenen, weltweit verteilten Produktionsbetrieben realisiert. Daten zu sammeln, aufzuzeichnen, auszuwerten und im Bedarfsfall zu reagieren, verbessere die Performance von Unternehmen wesentlich, so sein Credo. Denn oft liefere die Sensorik nicht nur Messwerte, sondern auch bereits eine Fehlerdiagnose, was er am Beispiel eines überhitzten Motors erklärte.

 

Standards als Schlüssel zur Digitalisierung der Industrie?

Mit der Podiumsdiskussion "Standards - der Schlüssel zur Digitalisierung der Industrie?" endete der Vormittag. Ingrid Brodnig, Journalistin und Buchautorin, diskutierte mit ihren Gästen Georg von Falck (AVL List), Martin Friedl (Palfinger), Roman Franz Froschauer (FH OÖ Campus Wels), Yves Leboucher (SCI4.0), und Clara Neppel (IEEE) die wechselweise Beeinflussung von Industrie und Standardisierung, den Faktor Mensch, Potentiale und Bedrohungen durch Künstliche Intelligenz sowie regionale und globale Aspekte von Standards.

 

Innovative Geschäftsmodelle vs. smarte Produktion

Am Nachmittag standen zwei parallele Praxissessions auf dem Programm. Session 1 widmete sich innovativen Geschäftsmodellen, die Predictive Maintenance und digitale Prozessoptimierung nutzen, Session 2 thematisierte Datensicherheit und smarte Produktion.

 

Wartung und innovative Anwendungen 4.0

Lucas Conditt von B&R Industrial Automation eröffnete seinen Vortrag zu Schlüsseltechnologien für die digitale Fabrik mit Ausführungen zum weltweiten Maschine-zu-Maschine-Kommunikationsstandard OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture). Die damit mögliche zustandsorientierte Instandhaltung reduziere die Anzahl unvorhergesehener Ausfälle und spare so erhebliche Kosten, so Conditt. B&R sei in der Lage, mit seiner Orange Box auch Maschinen älterer Baujahre zu digitalisieren, also Daten zu akquirieren, zu visualisieren oder an Cloudservices weiterzuleiten.

Wie sich Logistikprozesse mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) verbessern lassen, erläuterte anschließend Carsten Fleischer von Evertracker. Das Start-up kombiniert KI mit dem Internet of Things (IoT) und ermöglicht es seinen Kunden, Supply Chain und Logistikprozesse in Echtzeit zu überwachen und zu steuern. Anhand von zahlreichen Praxisbeispielen belegte Fleischer, dass bereits durch das bloße Tracken und Aufzeigen von Problemen wichtige Parameter wie etwa die Liefertreue um bis zu 50% verbessert werden können.

In der abschließenden Diskussionsrunde, die David Kotrba von futurezone.at moderierte, zeigten sich Fleischer und Conditt einig, dass es bei Predictive Maintenance nicht darum gehe, den Menschen zu ersetzen, sondern zu verhindern, dass teure Anlagen ungewollt ausfallen.

 

Anwendungen: 3D-Druck von Beton und Perimetersicherung

Dem 3D-Druck von Beton widmeten sich Dipl.-Ing. Georg Grasser von incremental3d und Dipl.-Ing. Eduard Artner von Wopfinger Baustoffindustrie. Die additive Fertigung mittels roboterunterstütztem 3D-Druck revolutioniere das Produktionsverfahren. Zudem gehe der 3D-Druck ökonomisch mit Material um und biete größtmögliche Freiheit bei der Wahl der Form, so Grasser und Artner.

Christian Sageder, MA von ÖWD Security & Services stellte mit der Perimetersicherung durch den Einsatz von intelligenter Videoanalyse ein weiteres Best Practice-Beispiel vor. Dank Videoanalyse 4.0 oder Deep Learning sei man heute in der Lage, Bildinhalte relativ exakt identifizieren zu können, so Sageder. Das bringe einen enormen Vorteil bei Überwachung und Schutz von Flächen und Gebäuden.

Bei der folgenden Podiumsdiskussion diskutierten Grasser, Artner und Sageder über Anwendungsmöglichkeiten, Mehrwert und Sicherheit neuer Technikanwendungen in der Industrie.

 

Umgang mit hochsensiblen Daten

In der parallel ablaufenden, zweiten Session stellten Hofrat Dr. Peter Schweppe und MMag. Kristin Grandl-Eder vor, wie die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) die Anforderungen der Europäischen Datenschutzgrundverordnung umgesetzt und dabei die Sicherheit hochsensibler Patientendaten sichergestellt hat.

Georg Beham, MSc, Partner bei Grant Thornton Unitreu Advisory, referierte darüber, wie sich Datensicherheit in Industrieunternehmen herstellen lässt. Es gelte u.a. zu klären, ob Anwendungen wie etwa WhatsApp in beruflichem Kontext verwendet werde dürften, und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Einhaltung der Firmenregeln zu verpflichten.

Im Anschluss diskutierte das Podium - moderiert von Digital Strategist und Buchautorin Lena Doppel - über branchenübergreifende Lerneffekte aus den bisherigen Projekterfahrungen.

 

Internet of People

Vera Müllner vom weltweit tätigen Industrieanlagenbauer Andritz stellte Industrie-4.0-Anwendungen ihres Konzerns vor - unter anderem die Modellierung von Schlüsselprozessbereichen mittels Virtual Twinning, eine Fallstudie zur Fernwartung mittels Augmented und Virtual Reality sowie eine Studie über neue Möglichkeiten durch smarte Sensoren und Big Data in einer Hygienepapierfabrik.

Unter dem provokanten Titel "Kein Mensch braucht Industrie 4.0" erläuterte Wolfgang Burkhard von Abax Informationstechnik, dass das Thema keineswegs neu sei, lediglich das Denken sei ein anderes. Es gelte, darauf zu achten, dass der Mensch in der Automatisierung nicht in eine "Gastrolle" abgedrängt werde.

In der abschließenden Diskussionsrunde ging es auch um die Rolle von Standards bei der Interoperabilität, wobei Karl Grün von Austrian Standards und Richard Valenta vom OVE eindringlich darauf hinwiesen, dass Mitarbeit in der Standardisierung jedem offentsteht und ausdrücklich erwünscht ist.

 

Vom Homo Sapiens zum Super Sapiens

Wie sich der Mensch neu erfinden kann, beschrieben im Abschlussplenum der Regisseur und Wissenschaftsjournalist Mag. Markus Mooslechner und der Wirtschaftsinformatiker und Softwareentwickler Fabian Schneider. In ihrem Beitrag "SuperSapiens - Aus dem Leben eines ge-CHIP-ten Menschen" schilderten sie, wie die kognitiven Fähigkeiten von Menschen bereits heute manipuliert werden. Der Fall eines Mannes, dessen visuelle Fähigkeiten durch Neurostimulation enorm verbessert wurden, der aber gleichzeitig einen Großteil seiner Gedächtnisleistung einbüßte, beeindruckte das Publikum sichtlich. Diesen "Use Case" hat Mooslechner auch in seinem aktuellen Film "SuperSapiens - the Rise of the Mind" verarbeitet, in dem er das Ende des Homo Sapiens und die mögliche Geburt einer neuen Spezies beschreibt.

 

Öffentlicher Diskurs fehlt

Auf großes Interesse stießen auch die Erfahrungsberichte von Fabian Schneider, der mit Hilfe mehrerer Implantate seine Sinneswahrnehmungen erweitert hat. Mit einem implantierten RFD-Chip kann Schneider sein Handy entsperren, dank Magnet im Ringfinger "spürt" er elektromagnetische Felder und mit einem Chip namens "North Sense" kann er die Ausrichtung nach Norden detektieren. Doch was aller Kuriosität zum Trotz derzeit fehle, so Mooslechner und Schneider, seien geeignete Frameworks für Künstliche Intelligenz und ein breiter öffentlicher Diskurs darüber, was erwünscht sei und was nicht.

 

Fazit

Dr. Karl Grün und Dipl.-Ing. Roland Sommer, die Moderatoren der beiden Nachmittagssessions, betonten abschließend, dass Industrie 4.0 zwar bereits viele erfolgreiche Anwendungen hervorgebracht habe, zahlreiche Themen aber noch zu bearbeiten seien. Neben pragmatischen Fragen würden sich auch solche ethischer Natur stellen: "Was braucht der Mensch von der Industrie 4.0?", "Ist der Mensch von heute noch jener, der er gestern war?". Und natürlich auch jene nach künftigen Standards, also "Welche Regulative und Einrichtungen braucht es, um Industrie 4.0 zu einem globalen Erfolgsmodell zu machen?"

 

Partner des Industrie-4.0-Kongresses

Austrian Standards bedankt sich bei seinen Hauptpartnern ABAX, Arch+Ing Akademie, AVL, Kammer der ZiviltechnikerInnen, ÖWD Security Systems, Rockwell Automation und Siemens, den Partnern Betonmarketing Österreich, Digital Society, IoT-Forum CE, IoT-Magazin, MC Mechatronik Cluster, OVE, UAR, weXelerate, WKO Die Industrie, xt Automation sowie den Mediapartnern futurezone.at und Industriemagazin, die den Fachkongress Industrie 4.0 unterstützt haben.

 

Impressionen vom 2. Fachkongress Industrie 4.0

Alle Bilder der Veranstaltung sehen Sie in unserem Online-Fotoalbum.

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Ansprechpartner für den Fachkongress

Jürgen Cech, Senior Programme Manager

Jürgen Cech

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Ansprechpartner für Medien

Mirjana Verena Mully, Head of Communications

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