Bauwerksbegrünung – österreichische Pionierleistung bei Standards

Standards sind ein Garant für die Qualitätssicherung. In Österreich gibt es drei ÖNORMEN für die Dachbegrünung, Innenraumbegrünung und Vertikalbegrünung. Warum das eine österreichische Pionierleistung ist, haben wir nachgefragt.

Bauwerksbegrünungen bringen positive Impulse für die Menschen, Flora und Fauna. Drei Standards beschreiben, worauf bei der Planung, Ausführung und Pflege zu achten ist:

  • die ÖNORM L 1131 zur Begrünung von Dächern und Decken auf Bauwerken
  • die ÖNORM L 1133 Innenraumbegrünung
  • die ÖNORM L 1136 zur Vertikalbegrünung von Gebäuden.

Wir haben Experten des Komitees 229 „Grünräume“ gefragt, was hinter den Standards steckt und welchen Nutzen sie bringen. Das Gespräch wurde geführt mit:

  • Peter Amann, Sika Österreich GmbH
  • Herbert Eipeldauer, Ing. Herbert Eipeldauer Garten- und Landschaftsbau GmbH
  • Christian Oberbichler, Dachgrün GmbH
  • Jürgen Preiss, Stadt Wien
  • Werner Sellinger, grünplan Landschaftsarchitekten

Was ist die „Dreifaltigkeit“ der Bauwerksbegrünung?

 

Austrian Standards: In Fachkreisen spricht man auch von der ‚Dreifaltigkeit‘ der Standards zur Bauwerksbegrünung. Welchen Nutzen bringen diese drei Standards – die ÖNORM L 1131, die ÖNORM L 1133 und die ÖNORM L 1136 – in der Praxis?

Christian Oberbichler: Den Ausdruck der Dreifaltigkeit in dem Zusammenhang muss ich mir zuschreiben. Er ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ich finde es großartig, dass wir in Österreich diese drei Standards haben. Sie definieren Mindestanforderungen, die uns dabei helfen, Lebensraum für Pflanzen auf Gebäuden und Grünraum im Bauwerk zu schaffen. Der Schwerpunkt liegt auf einer dauerhaften und nachhaltigen Begrünung. Damit wir die Begrünung den vielfältigen Ansprüchen, die heutzutage an Gebäude und Gebäudehülle herangetragen werden, entsprechend fachlich korrekt umsetzen können, sind diese Standards so wichtig.

Werner Sellinger: Vor allem die ÖNORM L 1131 hat einen Meilenstein gesetzt. Sie ist immerhin schon seit mehr als zehn Jahren gültig. Das war österreichische Pionierarbeit. Standards wie diese geben den Bauherren sowie Bauträgerinnen und Bauträgern Sicherheit. Die Berücksichtigung der Standards sichert eine Qualität, in der Planung, der Vergleichbarkeit der Angebote bis zur Abnahme der Bauvorhaben.

Jürgen Preiss: Für offizielle Gremien, Städte und Gemeinden sind solche technischen Standards von großer Bedeutung – spätestens dann, wenn grüne Infrastrukturmaßnahmen verbindlich in Bebauungsplänen festgelegt werden. Seit eineinhalb Jahren müssen beispielsweise in Wien bei Neubauten straßenseitig mindestens zwanzig Prozent der Fassade begrünt werden. Für solche Vorgaben sind verlässliche Standards enorm wichtig.

Peter Amann: Nicht zu vergessen: Standards sind außerdem zur Beurteilung im Schadensfall sehr wertvoll.

Wie bleiben Standards zur Bauwerksbegrünung aktuell?

 

Austrian Standards: Die ÖNORM L 1131 zur Begrünung von Dächern wird zurzeit überarbeitet. Warum?

Christian Oberbichler: Gebäude müssen laufend neue Ansprüche erfüllen, auch das Dach. Es muss heute für eine Mehrfachnutzung mit Mehrwert geeignet sein und Solar- und Photovoltaiktechnologie ebenso unterbringen, wie Raum für Biodiversität und Artenvielfalt. Der dritte große Schwerpunkt betrifft das Thema Regenwasserbewirtschaftung auf den Gründächern. Seit Veröffentlichung der ÖNORM L 1131 im Jahr 2010 hat sich natürlich sehr vieles am Markt, bei den Technologien und folglich auch bei den Planungen verändert.

Peter Amann: Neu sind zum Beispiel Technologien zur wurzelfesten Abdichtung von Gebäuden. Es sind in der derzeit gültigen Ausgabe noch Normen zitiert, die es nicht mehr gibt und gewisse Passagen müssen an die neuen Erkenntnisse angepasst werden.

Werner Sellinger: Wir hatten in den letzten zehn Jahren die sieben heißesten Sommer und viele Starkregenereignisse im Umfeld sehr langer Trockenphasen. Dem muss man jetzt Rechnung tragen. Standards müssen dem Bauprozess aber auch dem langfristigen Pflegeprozess gerecht und laufend verbessert werden, bis hin zu den Themen Absturzsicherungen, Brandschutz und dergleichen.

Wie können Schnittstellen zwischen Botanik und Technik geschaffen werden?

 

Austrian Standards: Wie entstehen diese Standards? Wie setzt sich das Komitee zusammen und wo entstehen Schnittstellen zwischen Botanik und Technik?

Herbert Eipeldauer: Die meisten Expertinnen und Experten im Komitee kommen aus der Praxis. Neben Fachkundigen aus der Bauwirtschaft sind auch Ökologen, Bodenkundler etc. im Komitee vertreten. Es ist wichtig, dass das Komitee von allen Seiten Inputs bekommt: von Planerinnen und Planern, von den Ausführenden und von der Wissenschaft. Fragen der Planung, Ausführung und Pflege sind die drei wichtigsten Grundpfeiler für die Entwicklung unserer Standards.

Schon 2010 waren in der ÖNORM L 1131 alle diese Themen enthalten und viele Aspekte berücksichtigt, über die damals noch wenige gesprochen haben. In der Zwischenzeit gibt es für viele Ausführungen eigene Standards, sodass sich die ÖNORM L 1131 jetzt noch fokussierter auf das Thema Begrünung konzentrieren kann.

Wir von der Landschaftsarchitektur und vom Gartenbau kommen von den Pflanzen und arbeiten sozusagen von den Pflanzen zum Gebäude. Die drei Standards zur Bauwerksbegrünung beschreiben die Ansprüche der Pflanzen und wie Gebäude so gebaut werden, dass ein dauerhafter und sicherer Lebensraum für Flora und Fauna entsteht.

Peter Amann: Die Zusammensetzung im Komitee 229 „Grünräume“ ist sehr vielfältig und die Zusammenarbeit läuft wirklich hervorragend. Die tatsächliche Überarbeitung des Standards wird in der Arbeitsgruppe durchgeführt, die vom Komitee beauftragt wurde.

Sie stellt die Verbindung zwischen zwei Komitees her. In dem Fall ist es die Zusammenarbeit zwischen dem Komitee 229 für Grünräume und dem Komitee 214 für Abdichtungsbahnen, Planung und Ausführung von Dach- und Bauwerksabdichtungen. So wird der interdisziplinäre Austausch sichergestellt.

Mit den Standards gibt man den Ausführenden auch einen Leitfaden in die Hand, damit die Begrünung gemeinsam mit der architektonischen Umsetzung funktionieren kann – auf der Fassade und am Dach, in Planung, Ausführung und Pflege. Die Bauwerksabdichtung ist dabei sehr wichtig, da kein Wasser in das Gebäude eindringen darf. Und dort ist dann auch die Schnittstelle zwischen Bauwerksbegrünung und Bauwerksabdichtung und die Schnittstelle zwischen Architektinnen/Architekten und Landschaftsarchitektinnen/-Architekten.

Werner Sellinger: Zu Beginn der Photovoltaik durften Dächer mit PV-Paneelen nicht begrünt werden. Mittlerweile hat sich ein gemeinsamer Zugang entwickelt, welcher die Vorteile von Pflanzen für die Photovoltaik nützen will; beispielsweise den Mehrertrag an Solarstrom um bis zu 4% durch die Verdunstungskühlung der Pflanzen.

Am Dach treffen Bautechnik und Vegetationstechnik aufeinander. Wir sprechen hier in der Regel von einem mehrschichtigen Aufbau, der multifunktional zahlreiche Aufgabenstellungen zu erfüllen hat: einerseits bildet er die Vegetationsschicht. Die Tragschicht andererseits dient der Vegetation zur Verankerung wie auch als Lebensraum zur Versorgung mit Wasser und Nährstoffen. Neben einer raschen Wasseraufnahme und -speicherung müssen diese Substrate Überschusswasser jedoch fachgerecht in die Dränschicht ableiten und entwässern können.

Eine allein bautechnische Beurteilung wäre also zu kurz gegriffen. Es braucht auch den vegetationstechnischen Fokus mit entsprechenden Adaptierungen, sodass nachhaltiges Pflanzenleben möglich ist. Wir sprechen hier von „Natur aus zweiter Hand“ - die Dachbegrünung ist immer ein Kunstgriff, da es die Natur auf nicht idealen Standorten zu entwickeln gilt. Damit das funktionieren kann braucht es entsprechende technische Rahmenbedingungen – und zwar vom Neusiedlersee bis zum Bodensee.

Standards ermöglichen vorausblickende Planung

 

Austrian Standards: Wie helfen die Standards zur Bauwerksbegrünung schon bei der Planung?

Werner Sellinger:  Es werden heute noch immer sehr viele Objekte ohne fachkundige Landschaftsarchitektinnen/-architekten errichtet und dann ist diese Schnittstelle zwischen Pflanze und Gebäude oder Gelände nicht besetzt. Umso wichtiger ist es, dass es Standards gibt, in welchen die Mindestanforderungen definiert werden, so dass dieses Wissen jedermann zur Verfügung steht, beispielsweise auch im Rahmen von Angebotseinholungen.

Herbert Eipeldauer: Standards schaffen die Voraussetzungen für Architektinnen und Architekten, die Begrünung schon im Vorhinein zu planen und nicht erst zum Schluss. Jeder kann darin nachschlagen, welche Höhe zum Beispiel der Schichtaufbau braucht, wie groß zusammenhängende Flächen sein müssen etc. Das hilft später bei der Ausführung und beugt Fehler vor.

Vielen Dank für das Gespräch!

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ZU DEN EXPERTEN

Peter Amann, Sika Österreich GmbH

Ist Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Bauwesen. Die Fachgebiete sind Flachdachabdichtungen und Unterdächer bzw. Bauphysik – Feuchte- und Wärmeschutz. Seit Juli 2020 ist er Mitglied des Business Boards von GrünStattGrau und leitet den Fachausschuss „Flachdach“ – der sich u. a. mit Anforderungen von Dachbegrünungen (z. B. Regenwassermanagement oder Biozide) beschäftigt – sowie den Fachausschuss 1 „Abdichtungen“. Er ist in zahlreichen Standardisierungskomitees aktiv (national und international).

Herbert Eipeldauer, Ing. Herbert Eipeldauer Garten- und Landschaftsbau GmbH 

Innungsmeister-Stv. für die Gärtner und Floristen in Wien; Präsident der Österr. Gartenbaugesellschaft; Gründungsmitglied des Verbandes für Bauwerksbegrünung und der EFB (Europäische Föderation Bauwerksbegrünungsverbände); Mitglied der ELCA (europ. Landschaftsgestalter); GF der Fa. Eipeldauer GmbH; Einführung des Schweizer optima-Dachbegrünungssystems in Österreich; Planung und Ausführung von tausenden Dach- und Trogbegrünungen; Mitarbeit an den Richtlinien und der ONR für Dachbegrünung; Fachartikel und -vorträge über Dachbegrünung.

 

Christian Oberbichler, Dachgrün GmbH

Ist Eigentümer und Geschäftsführer der Firma Dachgrün GmbH; Begrünungsfachmann; Schwerpunkte: Dach- und Fassadenbegrünung, Beratung, Vertrieb und Ausführung von Bauwerksbegrünungen; 2. Vorsitzender des Verbandes für Bauwerksbegrünung; Univ.-Lektor an der Universität für Bodenkultur Wien; Fachvorträge an verschiedenen Fachschulen zur Ausbildung von Gärtnerinnen/Gärtnern, Gärtnermeisterinnen/-meistern und Gartenbauingenieurinnen/-ingenieuren. Mitglied des Komitees 229 „Grünräume“ und Leiter der Arbeitsgruppe 229.17 „Bauwerksbegrünung“.

 

Jürgen Preiss, Stadt Wien

Ist Absolvent der Universität für Bodenkultur – Studienrichtung Landschaftsplanung- und Pflege. Seit 2010 ist er tätig als Sachbearbeiter, leitender Stellvertreter im Bereich Räumliche Entwicklung der Abteilung Wien – Umweltschutz (MA 22) mit den Arbeitsschwerpunkten Urban Heat Islands – Strategieplan Wien sowie Programm zur Forcierung der Umsetzung von Bauwerksbegrünungen. Er leitet auch die Arbeitsgruppe Grün- und Freiräume des Programmes Ökokauf Wien.

 

Werner Sellinger, grünplan Landschaftsarchitekten

Ist Landschaftsarchitekt und Geschäftsführer von grünplan. Das Landschaftsarchitekturbüro hat sich der klimaangepassten Planung verschrieben. Er kombiniert mehr als 30 Jahre Erfahrung mit der Vision einer grünen Zukunft. Als Vorstandsmitglied im Verband für Bauwerksbegrünung leitet er den Fachausschuss 5 Planung. In zahlreichen Projekten wurden und werden die umfangreichen Erfahrungen als GREENPASS® Urban Climate Architect (UCA) zur Verbesserung der Klimaresilienz eingebracht.

 

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Ihre Expertise zur Bauwerksbegrünung ist gefragt

Dachbegrünung wird bei Austrian Standards im Komitee 229 „Grünräume“ behandelt. Hier werden Standards für die Bauwerksbegrünung entwickelt.

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Haben Sie weitere Fragen zum Thema? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.

Lisa Jesner, Committee Manager

Lisa Jesner

Committee Manager