Klimawandel trifft Gebäudehülle: Der Bausektor bereitet sich vor

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2023-05-15

Beim 5. Baustammtisch des „Dialogforum Bau Österreich“, einer Initiative von Austrian Standards und der WKO (Geschäftsstelle Bau), diskutierten Expert:innen aus Industrie, Planung und Klimaforschung über die akuten Herausforderungen an Gebäudehüllen durch zunehmende Wetterextreme. Denn die Klimaprognosen zeichnen ein klares Bild von der Zukunft: Es wird heiß und stürmisch.

250 Gäste waren am 11. Mai der Einladung von Austrian Standards International – dem Zentrum für Standards in Österreich – gefolgt, was die fünfte Ausgabe des Baustammtisches zugleich zur Auflage mit den meisten Anmeldungen machte. Wenig überraschend, denn das Thema wird in der Branche heiß diskutiert. Bauwerke müssen im Hinblick auf die Zunahme von Wetterextremen widerstandsfähiger werden. Stadtklimatologe Sandro Oswald (GeoSphere Austria) sieht an den Klimakarten wenig Grund zur Hoffnung. Im Gegenteil: „2025 werden globale Klimamodelle und regionale Prognosen zum nächsten Mal von uns zusammengeführt. Wir können aber davon ausgehen, dass die Ergebnisse ein deutlich negativeres Bild zeichnen werden als bei der letzten Durchführung vor zehn Jahren. Die Berechnungen von damals waren deutlich zu kühl.“ Die Auswirkungen spüren wir bereits heute. Die Orte, an denen man Schutz vor diesen Extremen sucht, also unsere Gebäude, haben einen harten Job.

Hagel als größtes Problem für Material und Hülle

Die Live-Publikumsumfrage zeigte, dass Starkregen als Folgen des Klimawandels, gefolgt von Überhitzung, zwar am stärksten wahrgenommen werden, doch gerade eine stark regionale und oft auf sehr kleinen Raum begrenzte Thematik bildet aus Sicht der Expert:innen die massivste Belastung. Werner Linhart (gerichtlich beeideter Sachverständiger, Teilnehmender in Komitee 206 „Dacheindeckungsprodukte für überlappende Verlegung und Produkte für die Außenwandverkleidung“ sowie Vorsitzender des Komitees 214 „Abdichtungsbahnen, Planung und Ausführung von Dach- und Bauwerksabdichtungen“) und Markus Atzwanger (Teamleiter Systementwicklung, Swisspearl Österreich GmbH, Vorsitzender des Komitees 206) sind sich einig, dass Hagel für Dächer und Dachkonstruktionen zur Gretchenfrage wird. Bei Hagelkörnern mit 7 cm Durchmesser und 130 km/h – wie sie nicht mehr nur im Labor vorkommen – ist nahezu jedes Material und jeder Baustoff am Limit. Relativ gut verträglich mit diesem wachsenden Wetterphänomen sind am ehesten noch Kies- und Gründächer, die zusätzlich auch in Sachen Hitzeabstrahlung hocheffizient sind. Doch Begrünung ist nicht immer die Lösung. Denn kommt es zu Trockenheit, bewirken die dürren Grasflächen exakt den gegenteiligen Effekt, nämlich Aufheizung. Klarer Rat aller Expert:innen: Fassaden- oder Dachbegrünungen benötigen Pflege, Know-how und vor allem nutzbare und ordentliche Wasserspeicher wie Zisternen. Diese sollten mit jeder Dachbegrünung mitgeplant werden.

Die Diskussion um Materialien ist heiß; wortwörtlich

Auf Platz zwei der Publikumsumfrage rangiert Hitze. Es ist absehbar, dass auch in Österreich der Moment näher rückt, an dem für Kühlung mehr Energie aufgewendet werden muss als für Heizen. Hier gibt es über die Gebäudehülle zahlreiche Maßnahmen, die diesem Trend entgegenwirken. Marc Höhne (Geschäftsführer, Delta Projektconsult GmbH, Mitglied Präsidium ÖGNI) und Doris Österreicher (Privatdozentin, Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung, Universität für Bodenkultur Wien, und Partnerin bei Treberspurg & Partner Architekten) stimmen überein, dass die Glasfassade ohne Mehrwert wie Photovoltaik – vielleicht noch nach Süden ausgerichtet – „out“ ist. Neue, hoffentlich nachhaltige Materialien werden hier die Zukunft sein. Schwarz oder Anthrazit als Fassadenfarben wird man in Zukunft selten an neuen Gebäuden sehen. Schon heute sind weiße Photovoltaik-Module am Markt, die dem Phänomen Hitze vorbeugen. Denn zu viel Hitze wirkt sich negativ auf den Energieoutput von PV-Anlagen aus. Aber auch Holz kann im städtischen Bereich bei fünf- bis sechsgeschossigen Gebäuden eingesetzt werden. Große Zukunft für Holz sieht Engelbert Schrempf (Geschäftsführer, Holzbau Austria, und Landesinnungsmeister Stv. Holzbau Steiermark) daher konkret im städtischen Bereich, da Holz CO2 speichern kann und als Dach- oder Fassadenbaustoff Wetterextreme mit Hagel und Starkregen relativ gut übersteht. Er registriert eine steigende Nachfrage von Stadtarchitekt:innen.

Zwei noch unterschätzte Themen: Starkwinde und Kellerabdichtung

In Österreich erleben wir jährlich rund vier bis fünf Superzellen (Gewittersysteme mit Tornadopotenzial) und zahlreiche Starkwinde. Stadtklimatologe Sandro Oswald (GeoSphere Austria, ehemals ZAMG) ortet hier für die kommenden Jahre eine weitere Zunahme und warnt, dass mit den häufiger auftretenden Hitzegewittern automatisch auch mehr Starkwinde und damit erhöhte Windlasten aufziehen werden. Standards für Windlasten sind hier in Zukunft gefragter denn je. Während für Hagel hier in den Konstruktionen selbst wenig Potenzial nach oben steckt, können Windlasten sehr gut über Konstruktionen entgegengewirkt werden. Ebenfalls noch unterschätzt ist das Thema Keller. Gebäudehüllen werden meist für einen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren geplant. Die Ausnahme macht dabei eben der Keller, der ebenfalls zur Gebäudehülle zählt und nicht, wie zum Beispiel die Fassade, relativ einfach am Ende ihres Lebenszyklus getauscht werden kann. Das Thema Kellerabdichtung benötigt aufgrund der punktuell zunehmenden Starkregenphänomene in den kommenden Jahren noch viel Aufmerksamkeit, auch in der Normung.  

Das Thema des nächsten Baustammtischs steht zwar schon fest. Doch feststeht ebenso, dass es wohl auch bald ein Wiedersehen der heutigen Gesprächsrunde geben wird müssen. Denn das Thema ist gekommen, um zu bleiben.

Die Speaker:innen:

  • Markus Atzwanger, Teamleiter Systementwicklung, Swisspearl Österreich GmbH, Vorsitzender des Komitees 206 „Dacheindeckungsprodukte für überlappende Verlegung und Produkte für die Außenwandverkleidung“
  • Marc Höhne, Geschäftsführer, Delta Projektconsult GmbH, Mitglied Präsidium ÖGNI
  • Werner Linhart, gerichtlich beeideter Sachverständiger, Teilnehmender in Komitee 206 „Dacheindeckungsprodukte für überlappende Verlegung und Produkte für die Außenwandverkleidung“ und Vorsitzender des Komitees 214 „Abdichtungsbahnen, Planung und Ausführung von Dach- und Bauwerksabdichtungen“
  • Doris Österreicher, Privatdozentin, Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung, Universität für Bodenkultur Wien, und Partnerin bei Treberspurg & Partner Architekten
  • Sandro Oswald, Stadtklimatologe, GeoSphere Austria (ehemals ZAMG)
  • Engelbert Schrempf, Geschäftsführer, Holzbau Austria, und Landesinnungsmeister Stv. Holzbau Steiermark
© Austrian Standards

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V.li.n.re: Sandro Oswald (Stadtklimatologe, GeoSphere Austria), Markus Atzwanger (Teamleiter Systementwicklung, Swisspearl Österreich GmbH / Komitee 206), Doris Österreicher (Privatdozentin, Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung, Universität für Bodenkultur Wien, und Partnerin bei Treberspurg & Partner Architekten), Engelbert Schrempf (GF der Holzbau Austria und Landesinnungsmeister Stv. Holzbau Steiermark), Marc Höhne (GF Delta Projektconsult GmbH, Mitglied Präsidium ÖGNI), Werner Linhart, (gerichtlich beeideter Sachverständiger / Komitee 206 und 214)

Medienkontakt
Mirjana Verena Mully, Head of Communications

Mirjana Verena Mully

Head of Communications