Dialogforum Bau sieht Handlungsbedarf für die Politik

Konsens bei der ersten Jahrestagung für Baurecht und Baustandards

Weitgehende Einigkeit herrschte unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ersten Jahrestagung für Baurecht und Baustandards: Bauen in Österreich braucht einen einfacheren und zugleich rechtssicheren Rahmen.

Rund 140 Personen - Bauherren, Architekten, Baumeister, Ziviltechniker, Wissenschafter, Juristen sowie Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden - waren am 28. November auf Einladung der Bundesinnung Bau der WKO und von Austrian Standards ins Austria Standards Meeting Center in Wien gekommen.

 

Die ausführliche Nachlese mit Zusammenfassungen der Vorträge können Sie hier herunterladen:
Tagungsband der Jahrestagung 2018 für Baurecht und Baustandards (PDF, 2740 kB)

Die Veranstaltung war einer der Höhepunkte im seit 2016 laufenden Prozess der gemeinsamen Initiative "Dialogforum Bau Österreich - gemeinsam für klare und einfache Bauregeln". Praktiker, Wissenschafter, Rechtsexperten und Interessensvertreter referierten aus unterschiedlichen Blickwinkeln Problemstellungen und Lösungsansätze.

WKÖ-Generalsekretär Kopf: Effizienz braucht Vereinfachung

Mittels Video-Grußbotschaften unterstützten auch Vertreter politischer Fraktionen das Anliegen. WKÖ-Generalsekretär Abg.z.NR Karlheinz Kopf (ÖVP) erklärte: "Deregulierung und Vereinfachung sind heute wesentliche Voraussetzungen für Effizienz in der Wirtschaft, aber auch im öffentlichen Bereich. Praxisgerechte Standards und Normen stellen sicher, dass unser modernes Leben nach einheitlichen Vorgaben funktioniert."

Die Wiener Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) ergänzte: "Unser gemeinsames Ziel ist es, das Zusammenspiel von Bauregeln so effizient wie möglich zu gestalten."

Und Oberösterreichs LH-Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ), der unter anderem auch für Baurecht zuständig ist, begrüßte die Initiative: "Jede Vorschrift und jede Norm soll auch am Prüfstand der Realitäten Bestand haben."

450 Expertinnen und Experten beteiligt

Als Vertreter der Initiatoren eröffnete Austrian-Standards-Präsident Univ.Prof. DDr. Walter Barfuß die Tagung. Er unterstrich die Bedeutung des Themas und führte aus, dass der Wert der Bausubstanz in Österreich ein Vielfaches des Bruttoinlandprodukts beträgt. Das Vorhaben klarer und einfacher Bauregeln sei angesichts der komplexen Rahmenbedingungen nur von allen Stakeholdern gemeinsam zu bewältigen, betonte Barfuß und bedankte sich bei den mehr als 450 Expertinnen und Experten, die sich bislang beteiligt haben.

Besonderer Dank gelte Bundesinnungsmeister Senator h.c. KommR Ing. Hans-Werner Frömmel, der den Lenkungsausschuss des Dialogforum Bau Österreich in Phase 1 geleitet hat. Andreas Kovar, Moderator des Dialogforum Bau Österreich, führte durch die erste Jahrestagung 2018 für Baurecht und Baustandards. Er leitete mit einem Aufriss der Problemstellung ein, stellte die bisherigen Ergebnisse vor und verwies auf den 2017 veröffentlichten Projektbericht, der bereits erste konkrete Lösungsansätze enthält. Kovar beschrieb, wie es dazu kommt, dass Normen, deren Anwendung per se freiwillig ist, defacto als verbindlich gelten und weshalb diese Widerspruch von der Politik diskutiert werden müssen.

Forderung nach eindeutigen, widerspruchsfreien und lesbaren Regeln

Der erste Themenkreis des Tages widmete sich den Anliegen der betroffenen Akteure. Dipl.-Ing. Dr. Rainer Pawlick, Innungsmeister der Landesinnung Bau Wien, beschrieb die Bedürfnisse und Probleme aus der Sicht der Ausführenden. "Ausführende Unternehmen sind mit zahlreichen Gesetzen, Vorschriften, Bauregeln und Normen konfrontiert. Diese in ihrer Summe im Baualltag zu bewältigen, ist eine große Herausforderung - vor allem im Hinblick auf leistbares Bauen und Wohnen", erklärte Pawlick. Er forderte daher eindringlich, die Vorschriften und Regeln besser aufeinander abzustimmen, sie eindeutig und widerspruchsfrei zu formulieren und Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. "Vorschriften müssen gut lesbar sein", so Pawlick, denn "schließlich müssen sie ja auch von Handwerkern und Ausführenden verstanden werden".

"Machbares vom Notwendigen unterscheiden"

Wie sich der Status quo aus Sicht der Planer darstellt, beschrieb Dipl.-Ing. Erich Kern. Er ist Ingenieurkonsulent für Bauingenieurwesen und Präsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und das Burgenland und ging insbesondere auf die Problemstellungen bei Bestandsbauten ein. Der vielzitierte "Stand der Technik" sei hier problematisch, so Kern, denn es herrsche Unklarheit, welche Regeln bei einer Bestandssanierung einzuhalten sind. Er formulierte den Wunsch an den Gesetzgeber, klar zu differenzieren, welche Maßnahmen am neuesten Stand der Technik tatsächlich gesetzt werden müssen. Es gehe darum, so Kern, "das Machbare vom Notwendigen zu unterscheiden".

Klare Struktur und richtiger Vertragstyp wichtig

Rechtsanwalt Dr. Georg Karasek betonte in seinem Vortrag über die Herausforderungen aus Bauherrensicht die Wichtigkeit eines professionellen Projektmanagements und einer klaren Strukturierung durch den Auftraggeber. Bedingt durch zunehmende Einzelvergaben stünden dem Bauherren zahlreiche Auftragnehmer gegenüber. Würde die Planung gebündelt und würden Generalplaner und Generalunternehmer beauftragt, ließen sich viele Probleme vermeiden. Als weitere Problemstellungen beschrieb der Jurist die Wahl des richtigen Vertragstyps - Pauschale vs. Einzelleistung - und den großen Einfluss, den Sachverständige in Bauprozessen vor Gericht haben.

Objektspezifische Lösungen für Baudenkmale

Auf Ausnahmeregelungen für Denkmale in Baunormen ging Mag. Astrid Huber-Reichl vom Bundesdenkmalamt (BDA) ein. Zwar stünden nur 1,5 % aller Gebäude in Österreich unter Denkmalschutz, trotzdem sei es aber wichtig, dass ein Bewusstsein dafür entstehe, dass geschützte Objekte nicht mit Neubauten vergleichbar seien, sondern dass es objektspezifische Lösungen brauche und dass es sinnvoll sei, das BDA frühzeitig einzubinden, so Huber-Reichl. Auf Initiative des Bundesdenkmalamts werde daher im zuständigen Komitee bei Austrian Standards Textbausteine entwickelt, die in alle relevanten Baunormen als nationales Vorwort einfließen sollen.

Dr. Bernd Euler-Rolle erläuterte schließlich die vom Bundesdenkmalamt zusammengestellten Standards der Baudenkmalpflege. Das mehr als 400 Seiten starke Kompendium ist eine Zusammenfassung denkmalpflegerischer Methodik. Die Gliederung folgt den sechs Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB), Bausteine des Werks sind 62 Grundsätze, 496 Regeln, 435 Erläuterungen und 772 Verweise. Ein Ampelsystem zeigt, wie gut sich die jeweiligen Maßnahmen mit Bedeutung und Bestand eines Denkmals vereinbaren lassen.

Podiumsdiskussion: irrationaler Umgang mit Risiken

Zum Abschluss des ersten Themenblocks debattierten die Referenten unter der Moderation von Andreas Kovar über mögliche Lösungsansätze. Zur Sprache kam dabei u. a., dass es Unklarheiten bei den Begriffen gibt, Betroffene von der Politik auch gehört werden müssen, und dass die Gesellschaft mit Risiken oft irrational umgeht. Weiters wurde der Einfluss unterschiedlicher Rechtsvorschriften (Bau- vs. Zivilrecht) diskutiert und erörtert, ob es sinnvoll und dem Gesetzgeber zumutbar sei, mehr als bisher in Gesetzen zu regeln.

Gesetzlicher "Stand der Technik"

Der Frage, was der "Stand der Technik" eigentlich ist, und wie viel der Gesetzgeber regeln kann oder muss, ging Univ.Prof. Dr. Barbara Leitl-Staudinger vom Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre der Johannes-Kepler-Universität Linz nach. Der Gesetzgeber habe verschiedene Möglichkeiten: Er könne die technischen Anforderungen im Gesetz selbst regeln, auf technische Regelwerke verweisen und diese für verbindlich erklären, mittels Verweis auf Technikklauseln den "Stand der Technik" einfordern und diesen durch Verordnung oder im Verwaltungsverfahren konkretisieren, so Leitl-Staudinger. Oder er könne sich - ein neuer Ansatz - auf das Grundsätzliche beschränken und vermuten, dass bei Einhaltung eines technischen Regelwerks - etwa bestimmte OIB-Richtlinien - ein bestimmtes Schutzniveau erreicht und damit auch den gesetzlichen Anforderungen entsprochen werde.

Leistungsorientierte Bauvorschriften: präzise und flexibel

Über leistungsorientierte Bauvorschriften referierte Dipl.-Ing. Dr. Rainer Mikulits vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB). "Das Konzept der leistungsorientierten bautechnischen Vorschriften entspricht dem neuen Ansatz. Sie sind präzise genug, damit man weiß, was gemeint ist, aber gleichzeitig flexibel genug, um Neues zuzulassen", erklärte Mikulits. Bei diesem Konzept gehe es um die Unterscheidung zielorientierter Anforderungen von solchen, die technische Details regeln. Während beide der Erreichung von Schutzzielen dienen, sind für die Erfüllung technischer Bauvorschriften nicht alle technischen Details der OIB-Richtlinien zwingend erforderlich. Für die Umsetzung ist jedoch eine dritte Ebene mit Methoden und Lösungen - Normen und technische Regelwerke - notwendig. Während die Erfahrungen gezeigt hätten, dass die Anwendung bei Neubauten relativ unproblematisch ist, sei die Frage des Anforderungsniveaus bei Bestandsbauten derzeit ungeklärt und würde beträchtliche Haftungsrisiken beinhalten, schloss Mikulits seinen Vortrag.

Unterschiedliche Judikatur

Univ.Prof. Dr. Georg Kodek demonstrierte anhand zahlreicher praktischer Beispiele die aktuelle Rechtsprechung zur Haftung, wenn Normen nicht eingehalten werden. Kodek, Professor am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien), machte deutlich, dass die Spruchpraxis unterschiedlich ist, nicht zuletzt weil im Bauwesen neben baurechtlichen Vorschriften auch Aspekte des Zivilrechts relevant sind. Als dabei wesentliche Problemstellungen beschrieb Kodek die Themen Schadenersatzrecht und Gewährleistung. Es werde nicht immer korrekt zwischen den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" und dem "Stand der Technik" differenziert. Hinzu komme das generelle Problem, wie Rechtswidrigkeit im Schadenersatzrecht zu definieren sei. Das führe zu Haftungsrisiken, die vorab nicht geklärt werden könnten. Wichtig sei jedoch zu wissen, dass eine ÖNORM kein Schutzgesetz, sondern lediglich eine Zusammenfassung üblicher Sorgfaltsanforderungen sei, so Kodek.

Interdisziplinärer Austausch notwendig

Der Frage "Was ist alles Baurecht" ging Univ.Prof. Dr. Michael Holoubek vom Institut für Österreichisches und Europäisches öffentliches Recht der WU Wien nach. Mit einer eindrucksvoll komplexen Grafik veranschaulichte er die Kompetenzen im Wohnrecht, wobei die Ebene der Europäischen Union darin gar nicht abgebildet sei, wie er erklärte. Seiner Erfahrung nach gäbe es zu viele Gesetze, die unverständlich seien und einander widersprechen würden, andererseits sei die Summe aller Normen aber konstant. Dem berechtigten Wunsch nach wenigen Regelungen stehe dabei das Bedürfnis nach Rechtssicherheit gegenüber, so Holoubek. Dem zu entsprechen, sei eine schöne Aufgabe, denn dazu brauche es den interdisziplinären Austausch von Juristen mit Sachverständigen, wie Technikern und Ökonomen. Man müsse eine gemeinsame Sprache finden und miteinander reden - und dann ließe sich gemeinsam auch eine Lösung finden.

"Das Ganze im Blick behalten"

Bei der abschließenden Plenumsdiskussion mit den Vortragenden des zweiten Themenblocks dominierten rechtliche Aspekte. Die Diskutanten waren sich einig, dass Gesetzgebung nicht allein mit technischem Sachverstand zu bewerkstelligen sei, sondern dass politisch Verantwortliche auch die Aufgabe hätten, einen gesellschaftlichen Interessensausgleich herzustellen. Als zusätzliches Momentum komme das Spannungsfeld zwischen Gesetzgebung und Eigenverantwortung hinzu. Wichtig sei, das Ganze im Blick zu behalten. Und schließlich wurde auch die fragwürdige Praxis thematisiert, dass Auftraggeber nach der Fertigstellung eines Bauwerks unspezifisch Regelverletzungen unterstellen, um Preisnachlässe zu erzwingen.

Zeit, sich weiter aktiv einzubringen

Umso mehr gelte es, resümierte Andreas Kovar, Moderator des Dialogforum Bau Österreich, den Diskurs weiterzuführen und sich daran aktiv zu beteiligen. Um möglichst viele unterschiedliche Stakeholder und Interessensgruppen einzubinden, wurde dazu auf www.dialogforumbau.at eine neue Diskussions-Plattform eingerichtet. Probleme aus der Baupraxis, etwa zu nicht abgestimmten und widersprüchlichen gesetzlichen Bauregelungen können dort direkt eingebracht und Verbesserungsvorschläge mit anderen Fachleuten diskutiert werden.

Gäste

An der Tagung nahmen zahlreiche Personen aus Verwaltung, Politik und Interessenvertretungen teil, unter anderem Josef Karner (Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort), Evelyn Achhorner (Architektin und Abgeordnete zum Tiroler Landtag), Martin Haidvogl (Magistratsdirektor Stadt Graz), Walter Steinacker (Amt der NÖ Landesregierung) und Ernst Schlossnickel (Magistrat der Stadt Wien, MD-Geschäftsbereich Bauten und Technik).

Hier geht es zum Online-Fotoalbum der Veranstaltung

Jahrestagung als regelmäßige Einrichtung

Die erste Jahrestagung für Baurecht und Baustandards war ein Meilenstein im laufenden Diskussionsprozess des Dialogforum Bau Österreich. Die Veranstaltung soll zu einer regelmäßigen Einrichtung werden und auch 2019 stattfinden, wie Austrian-Standards-Präsident Barfuß als Vertreter der Initiatoren erklärte und zugleich an die Anwesenden appellierte, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Kontakt

Bei Fragen zur Teilnahme an der Jahrestagung Bau wenden Sie sich bitte an [email protected].

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