3. Baustammtisch
Der 3. Virtuelle Baustammtisch fand am 4. Mai unter dem Titel „Rückbau oder Sanierung, was ist wirklich nachhaltiger?“ statt. Die Veranstaltung wurde von Austrian Standards durchgeführt – gemeinsam mit dem Medienpartner ImmoFokus und der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Diesmal am Podium: Peter Bauer, stellvertretender Vorsitzender Sektion Ingenieurkonsulenten der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Georg Hofmann, Experte für Digitalisierung & Regulative, DoTank Circular City, Stadt Wien, Armin Knotzer, Projektleiter bei AEE INTEC, Vorstand RENOWAVE.AT, Thomas Pipp, Fachreferent der ÖBB Österreichische Bundesbahnen, und Franz Schwendemann, Teamleiter OFM Gebäudedaten & -zustände, Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.
Die Diskussionsrunde, moderiert von ImmoFokus-Chefredakteur Michael Neubauer, ging außerdem der Frage nach, welche Rahmenbedingungen es braucht, damit wir uns nachhaltiges Sanieren auch leisten können. Der Baustammtisch findet regelmäßig im Rahmen des Dialogforum Bau Österreich statt.
Die Kreislaufwirtschaft ist im Bausektor ein Schlüsselelement für den klimaschonenden Ressourcenverbrauch. Mittlerweile sollte die Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit schon in die Planungsphase von Neubauten einfließen. Auch das Abfallaufkommen kann mit geschlossenen Baustoff- und Baumaterialkreisläufen verringert werden. Fünf Experten gingen u. a. der Frage nach, wie mit dem Gebäudebestand umgegangen werden soll, der nicht kreislauffähig geplant und gebaut wurde.
Abriss ist die Ultima Ratio
In diesem Punkt war sich das Panel sofort einig: Beim nachhaltigen Planen, Bauen und Sanieren gibt es nicht nur schwarz und weiß, richtig und falsch. Wir müssen die Grauzonen nutzen. Einigkeit herrschte auch darüber, dass der Abriss letzte Wahl sein sollte.
So sagte Peter Bauer: „Zwischen Sanierung, Rückbau oder Abriss gibt es jede Menge Graubereiche, zum Beispiel die Adaptierung der Flächen in jeder Schattierung von sanft bis radikal. Die Umnutzung ist aus meiner Sicht sehr wichtig und ich glaube, dass sich das Feld Nachhaltigkeit in dieser gesamten Bandbreite aufspannt.“ Im direkten Vergleich sei die Sanierung in der Regel nachhaltiger als jeder Abriss.
Franz Schwendemann berichtete aus der Praxis: „Wir stehen tagtäglich vor dem Entscheidungsdilemma: Sanierung oder Rückbau. Dabei sind drei Faktoren zu bedenken: Der kulturhistorische Wert – ist er hoch, wird ein Rückbau nicht stattfinden. Die Sanierung ist aber auch auf stabile Gebäudestrukturen angewiesen. Ein sehr wesentlicher Faktor ist zudem die Möglichkeit einer Umnutzung. Ich denke, wir am Podium sind uns einig, dass nach der Sanierung ein Umbau oder wenigstens Rückbau das Ziel sein sollte und der Abriss nur die Ultima Ratio ist, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Das ist aber auch eine Frage der Kostenwahrheit.“
Jedes Gebäude ist eine Rohstoffquelle
Für Peter Bauer sind Bestandsgebäude wertvolle Rohstoffquellen: „Wir dürfen alte Gebäude nicht mehr als etwas Lästiges empfinden. Für ihre Errichtung wurde bereits viel CO2 ausgestoßen. Insofern tut es weh, wenn Stahlbetongebäude noch immer einfach abgerissen werden. Gründerzeithäuser sind zum Beispiel fantastische Gebäude, aber ihre Wärmedämmung ist nicht optimal. Hier gibt es nicht nur zwei Lösungen 0 oder 100. Auch in Bezug auf Behaglichkeit müssen wir die Grauzonen nützen. Wenn ein Gebäude seit hundert Jahren bewohnt ist, braucht es wirklich unbedingt plötzlich einen modernen Schallschutz?“ Traditionelle Holzverbindungen, die ohne Nägel auskommen, sind für Bauer ein weiterer Schritt am Weg in die Kreislaufwirtschaft. „Solche Technologien wurden leider aufgegeben, weil die handwerkliche Tradition aufgegeben wurde. Aber heutige Maschinen könnten das wieder, und zwar mit einer unglaublichen Präzision und Geschwindigkeit. Wir können sehr viel aus der Geschichte und von traditionellen Techniken lernen.“
Georg Hofmann ergänzte: „Da kann ich nur zustimmen. Wenn wir sanieren, dann ist die Frage immer, wie wir sanieren. Auch für den Bestand brauchen wir neue Verbindungsstoffe statt Verklebungen und nachhaltige Materialien, um in die Kreislaufwirtschaft einzusteigen. Wiederverwendung und zumindest die stoffliche Wiederverwertung müssen das Ziel jedes Bauprojekts sein. Das ist eine große Herausforderung, die einfacher zu meistern wäre, wenn wir genau wüssten, welche Massen und Materialien wo verbaut sind.“
Problemzone Verbundmaterialien
Hinter einer Bestandsaufnahme steckt großer Aufwand, weiß Franz Schwendemann. Derzeit sei die energetische Bewertung aller Gebäude im Bestand in Vorbereitung. „Das ist durchaus eine Anstrengung, sollte aber relativ zeitnah passieren können, um dann festzulegen, wo eine Nachrüstung nötig ist.“ Problemzonen sieht auch er bei den Verbundmaterialien in den Fassaden und Fenstern, bis hin zu Tragkonstruktionen. Um solche Bauteile sinnvoll im Materialkreislauf zu behalten, werde man noch „ein gewisses Gehirnschmalz“ benötigen. Ein Teil der Lösung sieht Schwendemann im Deponierungsverbot für bestimmte Baustoffe. Eine Verschärfung sei in den nächsten Jahren zu erwarten, wodurch der Kostendruck bei der Entsorgung steigen werde.
Thomas Pipp teilte diese Meinung und ist sicher, dass es künftig viel mehr Initiativen im Sinne der Kreislaufwirtschaft geben werde. Nachhaltige Baustoffe und Teile zumindest zu recyceln und einem neuen Baustoff zuzuführen, statt sie zu deponieren oder einzugraben, werde eine ganz neue Sparte der Bauwirtschaft entstehen lassen – inklusive der Zertifizierungen dieser Baustoffe.
Hebel: Kostenwahrheit und gemeinsames Mindset
Für Armin Knotzer sind allerdings viele Bemühungen der Gegenwart nicht ausgereift: „Solange wir nicht wissen, in welchem Bestand wir welche Maßnahmen setzen wollen, und konkrete Ziele fehlen, sind viele Initiativen zumindest ineffizient. Es fehlt ein umfassender Plan, das Gesamtbild, und ich glaube, es fehlt der politische Wille.“ Georg Hofmann gab zu bedenken, dass es eine sehr große Vielfalt an Bewertungsmatrizen und Bewertungssystemen gebe. „Deswegen ist es auch noch einmal wichtig, hier wirklich zielorientiert die tatsächlichen Kennzahlen zu evaluieren.“
Armin Knotzer: „Da gibt es sicher Diskrepanzen, auch in der Methodik. Und ich gebe Ihnen völlig recht, aber ich denke, viel wichtiger sind Ziele, die man definieren muss. Dann wird man auch die Methoden finden. Man weiß ja gar nicht genau, warum gewisse Vorgaben und Kennzahlen, wie in der Taxonomieverordnung, überhaupt definiert wurden, wenn das große Ziel fehlt.“
Peter Bauer ergänzte: „Um die Ziele zu erreichen, brauchen wir aber auch Lenkungsmittel. Ich hoffe sehr auf eine entsprechende Gesetzgebung inklusive Kostenwahrheit. Im Mietrechtgesetz sind alle Kosten im Zusammenhang mit Energie einfach auf die Mieter zu wälzen. Nötig sind aber Modelle, die alle Kosten auch im Sinne der Umweltbelastung in der Lebenszyklusberechnung einkalkulieren und Auftraggeber motivieren, langfristig zu rechnen. Wir brauchen wirklich ein großes Gesamtbild mit wenigen, aussagekräftigen Kennzahlen, die uns Richtlinien vorgeben. Voraussetzung ist ein Mindset, dass Nachhaltigkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die wir gemeinsam erledigen müssen.“
Sanierung bedeutet Kompromisse finden
Ein Stolperstein für die nachhaltige Sanierung oder Adaptierung sind auch immer wieder die technischen Möglichkeiten. Franz Schwendemann: „In Zeiten von Wohnraumknappheit möchte man verdichten. Wenn ein Dachgeschossausbau oder mehrere Geschosse aber aus technischen Gründen nicht von der vorhandenen Substanz getragen werden können, bleibt nur ein Rückbau. Gerade im Wohnungsbereich wird Verdichtung wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten ein Riesenthema sein.“ „Nicht nur in den bestehenden Städten, sondern vor allem auch in den Stadterweiterungsgebieten“, ergänzte Georg Hofmann.
Beim Thema nachhaltige Sanierung sei es deshalb sinnvoll, die Grauzonen auszunutzen und in Verhandlung zwischen Behörden und Partnern, wie Arbeitsinspektorat, Feuerwehr, Baupolizei und Denkmalschutz, sowie unter Wahrnehmung der Interessen von Mieterinnen und Mietern, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuloten, um die beste Lösung zu finden. Die Basis sei ein „für alle gerade noch tragbarer Kompromiss“, so Franz Schwendemann. Dass gerade in solchen Grauzonen viele Haftungsfragen aufkommen können, sieht nicht nur Schwendemann als Hürde. Umso wichtiger sei die umfassende Expertenberatung bei jedem Projekt.
Bewährtes Schätzen, aber auch überdenken
Abschließend steht für alle Diskutanten fest: Wenn wir nicht jetzt umdenken und in nachhaltige Gebäude investieren, werden spätestens die nächsten Generationen einen hohen Preis zahlen müssen. Was fehlt, sei eine gesicherte Datenlage über den Bestand und die Definition eines großen Gesamtziels. Um in eine kreislauffähige Wirtschaft zu gelangen, sind bewährte Technologien ebenso gefragt wie Innovationen. Letztlich werden wir nicht nur Kennzahlen und Berechnungsmodelle, sondern auch unsere Ansprüche überdenken müssen.
- Nachlese des 2. Virtuellen Baustammtisches: Nachhaltiges Bauen braucht Know-how und Kostenwahrheit
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