6. JAHRESTAGUNG FÜR BAURECHT UND BAUSTANDARDS

Bei der Jahrestagung wurden nachhaltige und resiliente Lösungen für den Bausektor erörtert.
 

Der Event lieferte spannende Diskussionen und innovative Ideen aus der Praxis für die Praxis.

Am 29. November 2023 empfing Austrian Standards zahlreiche Expertinnen und Experten, um nachhaltige und resiliente Lösungen für die Baubranche zu definieren. Best Practice Beispiele aus der gelebten Praxis konnten nicht nur Hürden und Hindernisse bei nachhaltigen Projekten veranschaulichen, sondern auch Perspektiven für die Zukunft aufzeigen. Einig war man sich, dass in „stürmischen“ Zeiten die Baubranche richtungsweisend ist – für technologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen. Durch das spannende Programm moderierte Thomas Pöll, Chefredakteur von ‚SOLID – Wirtschaft & Technik am Bau‘.

Hier finden Sie die Aufzeichnung des Events:

Karl Grün, Director Standards Development bei Austrian Standards, betonte in seiner Begrüßung, dass die Baubranche ein Spiegelbild von Wirtschaft und Gesellschaft sei. Themen, wie Lieferengpässe, Fachkräftemangel, hohe Zinsen und Energiekosten seien große Herausforderungen, die nachhaltige, innovative und resiliente Lösungen brauchen.

Konkrete Lösungen aus der Praxis

Claus Nesensohn von refine Projects AG & refine Austria GmbH, berichtete in seiner Keynote Rede zum Thema „Was bringt Lean und Green dem Bausektor?“ von seinen konkreten Erfahrungen, wie Nachhaltigkeit und Effizienz beim Bauen Hand in Hand gehen. Wer Lean and Green baut, kann rund 30 % Zeit und fast ebenso viel CO2-Ausstoß bei Bauprojekten einsparen, so der Experte. Dass Lean and Green noch nicht in der breiten Masse angewendet wird, liege vor allem an der Transparenz, die das Management-System erfordert. Sich darauf einzulassen, lohne sich aber, denn als „Abfallprodukt“ bekomme man bei Lean-Gebäuden nachhaltige Ressourcen- und Kostenschonung. Ein zentraler Punkt für resiliente Lösungen sei auch der Wille zur stetigen Verbesserung. Ganz praxisnah empfahl Nesensohn, sich täglich sieben Minuten Zeit zum Ausloten von Verbesserungspotenzial zu nehmen und Stichworte zu notieren.

RAHMENBEDINGUNGEN FÜR NACHHALTIGES BAUEN

In ihrem anschließenden Impulsvortrag sprach Karin Fuhrmann, TPA Österreich, über die EU-Taxonomie-Verordnung und welchen Einfluss diese auf die Bauwirtschaft hat. Die Expertin zeigte sich überzeugt, dass die EU-Verordnung dazu führen wird, dass „Green Buildings“ und jene, die von Anfang an mit der Verordnung arbeiten, im Vorteil sein werden. Zwar sei die Taxonomie-Verordnung noch in Weiterentwicklung und die Auditierung sowie Berechnungen eine „Herkulesaufgabe“, für Gebäude, die der Taxonomie-Verordnung nicht entsprechen, werde es aber zunehmend schwieriger, Investor*innen zu finden.

Clemens Hecht von der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband Stein- und keramische Industrie, widmete sich dem Thema „Bestand“. So gibt es in Österreich rund zwei Millionen Bestandsbauten, die früher oder später klimafit saniert werden müssen. Hecht plädierte angesichts des Fachkräftemangels und in Anbetracht steigender Kosten, bei allen Projekten den Fokus auf nötige Maßnahmen zu legen und warnte vor unnötig hohen Anforderungen in Verordnungen und Gesetzen.

Robert Jansche vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung und Vorstandsvorsitzender des OIB, referierte über die OIB-Richtlinie sowie die Überarbeitung der Bauprodukten-Verordnung vom Fahrplan bis zur Umsetzung. Die OIB-Richtlinien müssen entsprechend neuer Themen, wie E-Ladestationen oder Fassadenbegrünung laufend überarbeitet werden. Die Ausgabe 2023 kommt dem nach. In der noch nicht ausformulierten Richtlinie 7 werden dann auch Themenblöcke, wie „graue Energie“ und „Anpassungsfähigkeit von Gebäuden“, berücksichtigt. Der Beschluss von Richtlinie 7 „Nachhaltigkeit von Bauwerken“ durch OIB sei im Mai 2027 geplant.

Roman Schremser von der ASFINAG Bau Management GmbH berichtete: Dekarbonisierung und Elektrisierung brauchen Infrastruktur. Bis 2030 soll die ASFINAG 1.500 E-Ladepunkte errichten. Außerdem müssen Straßen, Brücken und Co. entsprechend dem höheren Gewicht von E-Fahrzeugen im Vergleich zu fossil betriebenen, ertüchtigt werden. Schremser sieht die Bauprodukteverordnung positiv, denn sie würde Rechtssicherheit und Transparenz schaffen. Insgesamt erleben wir spannende Zeiten, war Schremser sicher, die innovativen Produkten, Baustoffen und Verfahren neue Chancen eröffnen.

SCHLÜSSEL UND HINDERNISSE

Nach der Kaffeepause berichtete Katharina Bayer von einszueins architektur ZT GMBH aus der Planungspraxis. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Zukunft des Bauens im Bestand liegt. Das Konzept von Baugruppenprojekten sieht Bayer als Schlüssel für bedarfsorientiertes und somit nachhaltigeres Bauen. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Bestandsgebäude klug und so lange wie möglich genutzt werden, meinte Bayer. Bei Neubauprojekten müsse schon bei der Planung einkalkuliert werden, dass der Neubau von heute ein Rohstoff der Zukunft sei.

Simone Grassauer von der SCALE Umweltberatung GmbH sprach im Faktencheck über kreislauffähiges Sanieren. Sie ist sicher: Eine integrale, kreislauffähige Planung braucht es nicht nur bei Neubauprojekten, diese sei auch bei Sanierungen unverzichtbar. Damit Verdichtung und Sanierung auch im Sinne der Kreislaufwirtschaft geschehen, fehle aber noch eine valide Materialbank, so Grassauer.

Kluges Sanieren ist Gebot der Stunde

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion unterstrich Ernst Bach von der SOZIALBAU AG, wie wichtig Energieeffizienz und Heizkosten den Mieterinnen und Mietern sind. „Sanieren mit Hausverstand“ sei das Gebot der Stunde. Matthias Moosbrugger, Rhomberg Bau Holding GmbH, stach in eine ähnliche Kerbe. Dass Sanierungsprojekte schneller voran gehen könnten als es gegenwärtig der Fall ist, untermauerte Moosbrugger mit dem Konzept vom „seriellen Sanieren“. Damit müssten funktionierende und bewährte Abläufe oder erprobte Methoden und Materialeinsätze nicht immer wieder neu geplant und genehmigt werden. Ulrike Rabmer-Koller, Rabmer Group, strich hervor, dass sich bereits vieles in der Baubranche getan habe. Als Beispiel nannte sie die effiziente Nutzung von Abwasser zum Heizen und Kühlen von Gebäuden. Annette Scheckmann von der STRABAG AG ergänzte: Die Frage sei längst nicht mehr, ob man sanieren will, sondern nur noch, wann.

Umweltperformance von Bauwerken und Bauprodukten

Weiter ging es mit einem Best-Practice Beispiel, vorgestellt von Ursula Schneider, POS architekten ZT -KG. Sie sprach sich klar für die Taxonomie-Verordnung aus. Die Vorgaben darin würden vielen Planerinnen und Planern helfen. Manche seien allerdings widersprüchlich und würden einer Überarbeitung bedürfen. Für die Zukunft sieht Schneider großes Potenzial in der Zertifizierung von ganzen Stadtquartieren. Außerdem werden Gebäudehüllen einen viel größeren Beitrag zur Energieversorgung von Gebäuden leisten. Architektinnen und Planer haben es in der Hand, meinte Schneider überzeugt, ihre Auftraggeber*innen von nachhaltigen Projekten zu überzeugen.

Hilbert Focke stellte die Initiative Sonnenhaus Österreich und ihr „Brick Bauhaus“ vor. Dabei betonte Focke, dass man Klimaneutralität und Klimaresilienz von Gebäuden vor den Vorhang holen wolle. Themen, wie ein gesundes Raumklima und ausreichend Tageslicht dürfen bei der Zertifizierung von Gebäuden aber nicht vernachlässigt werden, so Focke.

Ökobilanzierung ja, aber wie?

Danach ging es am Podium um Strategien für praktikable Ökobilanzen in der Baubranche. Peter Bauer von der Kammer der ZiviltechnikerInnen, ArchitektInnen und IngenieurInnen, Wien, Niederösterreich und Burgenland bedauerte, dass die Zertifizierung von Gebäuden nach wie vor freiwillig passiert und nicht gesetzlich verpflichtend ist, da wertvolle Zeit verloren gehe, bis alle Gebäude klimaneutral sein werden. Verena Macho von FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH, stellte fest, dass die Zertifizierung leider von den meisten Bauherren zuerst gestrichen werde, sobald die Mehrkosten dafür berechnet worden sind. Einen Grund dafür, dass Zertifikate oder taxonomiekonformes Bauen nicht gesetzlich vorgeschrieben werden, sieht Peter Maydl von der TU Graz in den mangelhaften Datenbanken und Richtwerten. Maydl plädierte auch für „reduzierte Ökobilanzen“, die auf wenigen aber validen Daten basieren sollen. Dirk Jäger von der BIG unterstrich, dass die Datenbanken unbedingt wie in Deutschland oder in der Schweiz, auch in Österreich in staatliche Verwaltung gehören, um deren Qualität zu sichern. Richard Woschitz von der Woschitz Group ergänzte, dass die Baubranche sich wieder auf Wesentliches konzentrieren müsse. Für nachhaltiges Bauen brauche es einfache Berechnungsmethoden, belastbare Daten und ein neues „Denken in Quartieren“, sowie pragmatische Anwendungen und Umsetzungen, brachte es Woschitz auf den Punkt.

Zurück zur Normalität

Daniel Thum, Erste Immobilien KAG und Erste Asset Management, präsentierte anschließend aus Perspektive der Finanzwirtschaft wie sich die Baubranche mittelfristig entwickeln wird. Die Rekordfertigstellungen der vergangenen Jahre werden in nächster Zeit drastisch zurück gehen. Der „zinsgetriebene Superzyklus“ sei vorbei, nun kommen wir zurück in eine „neue Normalität“, wie wir sie vor 2015 kannten, meinte Thum ohne Wehmut.

Den Abschluss machte ein Podiumsgespräch mit Sandra Bauernfeind, Heimat Österreich gemeinnützige Wohnungs - und Siedlungsges. mbH, Thomas Drozda, ARWAG Holding-AG, und Silvia Hofer von wohnfonds_wien, fonds für wohnbau und stadterneuerung, sowie Isabella Stickler, Alpenland Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft. Man war sich einig, dass das Bewusstsein über die Notwendigkeit von nachhaltigem, resilienten Bauen bei allen Steakholdern ausgeprägt ist. Was es nun brauche, seien praktikable Vorgaben, belastbare Richtwerte und entschlossenes Handeln der Politik. Einig war man sich auch, dass die Herausforderungen der Gegenwart, von Klimaschutz bis Krieg und Kostenexplosion, enormes Potenzial und große Chancen eröffnen. Und, dass die Baubranche wertvoller Impulsgeber für eine nachhaltige Gesellschaft sein kann und muss.

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Mehr zum Thema

Die 6. Jahrestagung für Baurecht und Baustandards fand am 29. November 2023 im Rahmen des Projekts „Dialogforum Bau Österreich – gemeinsam für klare und einfache Bauregeln“ statt.

Präsentationen zum Download

Was bringt Lean und Green dem Bausektor?
Claus Nesensohn | refine Projects AG & refine Austria GmbH

Wie verändert die EU-Taxonomie-Verordnung die Bau- und Immobilienentwicklung?
Karin Fuhrmann | TPA Österreich

Was gilt für Bestandsbauten und wie sollte bei Sanierungsfällen entschieden werden?
Clemens Hecht | Wirtschaftskammer Österreich, Stein- und keramische Industrie, Fachverband

Fokus OIB-Richtlinie & Überarbeitung BauproduktenVO & Fahrplan Umsetzung
Robert Jansche | Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Vorstandsvorsitzender des OIB

Fokus OIB-Richtlinie & Überarbeitung BauproduktenVO & Fahrplan Umsetzung
Roman Schremser | ASFINAG Bau Management GmbH

Neubau vs. Sanierung – Planung als Schlüsselfaktor?
Katharina Bayer | einszueins architektur ZT GMBH

Kreislauffähiges Sanieren – wie der Gebäudebestand aufblüht
Simone Grassauer | SCALE Umweltberatung GmbH

Die Dekarbonisierung des Bauwerks – auf dem Weg zum aktiven Energiegebäude
Ursula Schneider | POS architekten ZT -KG

Die Dekarbonisierung des Bauprodukts – auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion
Hilbert Focke | Initiative Sonnenhaus Österreich

Die Entwicklung der Baukonjunktur und des Immobilienmarkts
Daniel Thum | Erste Immobilien KAG und Erste Asset Management

Mehr zum Dialogforum Bau Österreich
www.dialogforumbau.at

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